
Ein junger Mann des Dorfes schlug sich als Gelegenheitsarbeiter durchs Leben. Jeweils grade da, wo er gebraucht wurde. Er kannte nichts anderes. Die ihm anvertrauten Arbeiten erledigte er soweit gut, aber keiner im Dorf achtete ihn für das. Für die Dorfbewohner war er der Hilfsgeselle. Wenn Not am Mann war, rief man ihn, war einer zu viel, entliess man ihn. Einmal beklagte er sich beim Schmied, bei dem er an diesem Tag den grossen Blasbalg bediente. Schweissüberströmt an der Arbeit beschwerte er sich darüber, dass ihm niemand im Dorf bessere Arbeiten anbot. Keiner sei bereit, ihn für länger zu beschäftigen. Der Schmied tauchte das heisse Eisen ins Wasserbecken, und zuckte mit den Schultern. Er seufzte, fast etwas verständnisvoll. Der junge Mann fuhr fort, über die abschätzende Haltung des Dorfes gegenüber ihm zu jammern. Er würde gerne eine Gelegenheit bekommen, eine Chance, nur eine Möglichkeit, seinen Wert zu beweisen. Er könne mehr als nur Brot essen. Dem Schmied wurde es zu viel. Immerhin dürfe der junge Mann bei ihm den Blasebalg treten. Alle im Dorf wüssten, dass es dem jungen Mann für mehr als einfache Gelegenheitsarbeiten nicht reiche. Das sei allgemein bekannt. Aber wenn es ihn so beschäftige, solle er doch in die nahe kleine Stadt. Zum alten Rabbi. Der sei bekannt dafür, weisen Rat selbst für hoffnungslose Fälle zu geben.
Wenige Tage später traf der junge Mann frühmorgens beim Rabbi ein. In der Stube des Rabbi schilderte er sein Anliegen. Dass er keine Gelegenheit bekomme, seinen Wert zu zeigen. Dass ihn niemand ernst nehme. Keiner sehe etwas in ihm, ausser den Gelegenheitsarbeiter. Der Rabbi hörte zu. Kurz. Ja, das sei bedauerlich, wirklich. Aber er habe jetzt keine Zeit für ihn, es gäbe da wichtiges anderes, das rufe. Aber wenn er schon da sei, könne der junge Mann ihm von Diensten sein. Der Rabbi zog sich einen schmucklosen Ring von der linken Hand und streckte ihn dem Jüngling entgegen. Er sei in Geldnot, und würde gerne diesen Ring verkaufen. Der junge Mann solle doch bitte auf den Markt der kleinen Stadt gehen, und ihn dort für den Rabbi verkaufen. Er selber habe leider keine Zeit. Aber unter keinen Umständen solle er den Ring für unter einer Silbermünze hergeben, schärfte er ihm ein. Mit diesen Worten schob der Rabbi den jungen Mann aus dem Raum.

Widerstrebend trollte sich der unglückliche Jüngling zum Markt. Er bot den Ring den Händlern an. Drei schauten sich den Ring gemeinsam an. Ein Erster wollte ihn kaufen – und bot zehn Kupfermünzen. Verlegen erklärte der Jüngling, dass sein Herr mindestens eine Silbermünze dafür wolle. Er erntete allgemeines Gelächter. Das amüsierte Kopfschütteln rundum war nicht ermutigend. Er solle mittags nochmals vorbeikommen, wenn er den Ring bis dann nicht verkauft habe. Dann werde man sehen, meinte der zweite Händler. Über den ganzen Morgen warfen viele Marktbesucher und Händler einen interessierten Blick auf den Ring. Und jeder und eine winkte ab, als er den geforderten Preis hörte. Niedergeschlagen versuchte er es am Mittag nochmals bei den drei Händlern. Der dritte Händler bewunderte die Ausdauer des Jünglings und erbarmte sich. Er bot einen Viertel einer Silbermünze. Der junge Mann musste ablehnen und kehrte niedergeschlagen zum Rabbi zurück.
Der Wert dieses Ringes sei allerhöchstens ein Viertel einer Silbermünze, berichtete er dem alten Mann. Das einfache Schmuckstück für eine Silbermünze anzubieten habe ihm auf dem ganzen Markt nur Spott und Gelächter eingebracht. Der Rabbi hörte zu. Kurz. Er trug ihm auf, mit dem Ring in die nahe grosse Stadt zu reisen. Da gebe es einen bekannten Schmuckhändler. Der Jüngling solle ihn da zum Verkauf anbieten. Aber egal, welche Summe der Händler biete, verkaufen dürfe er ihn nicht. Und mit diesen Worten schob er den jungen Mann abermals aus der Türe.
Über den neuen Auftrag des Alten verdattert machte sich der Jüngling zur grossen Stadt auf. Am Hauptplatz trat er in das vornehme Gebäude des Schmuckhändlers ein. Er legte den Ring auf die Verkaufsfläche und fragte nach dem Wert des Ringes. Der Schmuckhändler nahm den Ring, hob ihn prüfend gegen das Licht. Dann verschwand er damit hinter dem Vorhang. Es dauerte eine Weile. Wieder zurück, legte der Händler das Schmuckstück zurück, vor den Jüngling. Er nehme an, dass der Herr des jungen Mannes in Geldnot sei, wenn er diesen Ring verkaufen wolle. Er habe nachzählen müssen und sei nicht so flüssig, wie er sich das selber wünsche. Er könne jetzt sofort fünfundfünfzig Goldstücke dafür geben, wenn der Jüngling den Ring gleich hier lasse. Es sei ihm bewusst, das sei zu wenig, aber als Notverkauf vielleicht in Erwägung zu ziehen? Andernfalls könne er binnen Wochenfrist das nötige Geld zusammenbringen für den marktüblichen Preis von zweiundsiebzig Goldstücken. Er wäre sehr interessiert an diesem Kauf! Der junge Mann bedankte sich mit verwirrtem Blick.
Zurück beim Rabbi berichtete er vom Angebot des Händlers. Der Rabbi meinte, der junge Mann sei wie dieser Ring. Warum er sich Leuten anbiete und von ihnen einschätzen lasse, welche keine Vorstellung von seinem wahren Wert haben können? So sprach’s der Rabbi, steckte sich den Ring mit geschmeidiger Bewegung an den Finger zurück und schob den jungen Mann zum dritten Mal die Tür hinaus.
